Wie alles begann ...

Die Jahre 1984 bis 1995

Am Kiosk fand man Anfang der 1980er das Komische in »relativ« hoher Blüte: Titanic, Pardon, Kowalski lagen aus. Die satirische Zeitschrift war einer der »Hauptorte« für die Komische Kunst. Orte, wo das Bild zu sehen war, als Original, im Diskurs mit anderen, Galerien oder gar Museen, die Künstler des Komischen hätten zeigen wollen, fehlten fast gänzlich.

Zu dieser Zeit gab es in Kassel den Zusammenschluss junger Kunststudenten unter dem Namen »Visuelle Opposition«, die die Plakatkunst mit satirischen Mitteln revolutionieren wollten, die Nächte in der Siebdruckwerkstatt verbrachten, damit die dann sofort anschließend plakatierte Stadt und Hochschule in den Kämpfen um die Startbahn West (Eine Kuh in Polizeifarben: »Mein Sohn ist Bulle, was habe ich nur valsch gemacht?«) oder zum Falkland-Krieg (»Insel-Cup England – Argentinien 3:2«) am jeweils folgenden Morgen visuell und satirisch agitiert werden konnte.

Bei Konflikten mit Hochschullehrern wurde kurzer Hand ein Sieb vorbereitet und direkt an die Tür des entsprechenden Professors gerakelt: »Die visuelle Faust im Nacken derer die es verdienen!« Das sah gut aus, ging nicht mehr ab, und die Mitstudenten wussten, wo der Feind zu finden war. Das an der GHK, der damals noch Gesamthochschule Kassel propagierte Projektstudium wurde nirgends konsequenter umgesetzt als im Fachbereich Kunst.

Was wir suchten, fanden wir nicht im Vorlesungsverzeichnis. Wir wagten es, unsere eigentlichen »Götter« anzusprechen. Zeichner und Autoren, die wir schon aus Pardon kannten, und die wir nun allmonatlich in der Titanic bewunderten. Wir beschlossen, F.K. Waechter zu fragen, und nach anfänglichem Zögern sagte er zu und kam als »Lehrbeauftragter«. (»Wir«, die Studenten von damals, sind bis heute der Caricatura verbunden, teils damals Gründungsmitglied oder heute ehrenamtlicher Vorstand.) In den Seminaren tat sich ein neuer Kosmos für uns auf. Weitere Seminare und damit weitere Begegnungen mit F.W. Bernstein und F.K. Waechter folgten. Danach sah man die Welt mit anderen Augen.

Dann kündigte sich die nächste documenta an, für das Jahr 1987. Wir wollten der Kunstwelt zeigen, dass unsere Idole sich mit deren Ikonen ohne weiteres messen konnten, dass sie auch »richtige« Künstler waren, wir wollten zeigen, dass die Karikatur, der Cartoon und die komische Zeichnung auch Kunst waren! Ein anderer Begriff musste her. Wie sollten wir nennen, was in uns selbst zwar deutlich, aber doch erst noch »nur gefühlt« war? Mit Karikatur und Cartoon waren die Bilder die wir in den Ausstellungen zeigten, nur unzureichend bezeichnet. Eine Waechter-Zeichnung, die Malerei von Ernst Kahl oder von Rudi Hurzlmeier war weit mehr, diese Künstler hatten sich in ihrer Intensität und Ausdruckskraft weiter entwickelt und waren mit den bisherigen Begrifflichkeiten nicht mehr genügend zu fassen. Diese Arbeiten waren tief, intensiv und nachhaltig und standen denen der Hochkunst in nichts nach. Der herkömmliche Kunstbetrieb aber schaute weiter verächtlich auf dieses Genre.

Was will die Komische Kunst? Sie will die andere Seite der Medaille sichtbar machen, sich kritisch mit Alltäglichem beschäftigen oder auch nur schlicht einen Witz machen. Damit ist die Komische Kunst konkret, beim Betrachter erzeugt sie Gedankengänge, Assoziationen, Haltungen, die so manches Kunstwerk auf der großen Weltausstellung gerne bewirkt hätte. Diese Kunst bezieht Stellung. Nur diese Eindeutigkeit, das sich »Nicht- Verstecken« hinter Abstraktionen und Verklausulierungen, die Eindeutigkeit statt symbolistischer Zeichensprache scheint die Feuilletons, scheint die Kritiker zu erschrecken und abzuschrecken. Nicht so das Publikum!

Chlodwig Poth beklagte sich Zeit seines Lebens über diese Ignoranz der Feuilletons. Veröffentlichte er ein Buch mit seinen neusten Zeichnungen, so fühlte man sich in den Redaktionen nicht zuständig. Das war weder richtige Literatur noch Hochkunst. (Das gleiche Schicksal erleben oft satirische und kabarettistische Texte, die man zumeist auch nicht literarisch wertet.) Die Komische Kunst saß immer zwischen den Stühlen.

Die Caricatura wollte diesen Zustand ändern, platzierte ihre großen Übersichtsschauen im Zentrum der Weltkunstausstellungen und gelegentlich wurden einzelne Arbeiten direkt, provokativ, im Kasseler Stadtraum, neben die Hochkunst der documenta gestellt. Oft verwechselte der Kunst-Betrachter dann die Caricatura-Kunst mit documenta-Kunst. Ein besseres Indiz, sich gegen die bzw. neben der Hochkunst zu behaupten zu können, gibt es nicht. So etablierten wir als »kleine Galerie« mit den »großen Werkschauen« den Begriff »Komische Kunst«, und führen diesen auch offensiv und programmatisch im Namen: »Caricatura – Galerie für Komische Kunst« in Kassel, und, seit 2000 »Caricatura-Museum für Komische Kunst« in Frankfurt am Main.

Unsere erste Ausstellung entstand fast anarchisch spontan, absichtslos zuerst noch, was Theorie betraf. Claus Heinz, aus dem Kasseler Zeichnertrio Heinz/Sandmann/Frenz, hervorgegangen aus dem Waechter Seminar an der GHK, alle drei dann Gründer der Caricatura, hatte den Vorschlag gemacht: »Wir können doch ein paar Zeichner einladen und zur documenta eine kleine Karikaturen-Ausstellung organisieren.« Daraus wurde die erste Caricatura, eine der bis dahin größten Ausstellungen ihrer Zunft in der Bundesrepublik, mit siebzig Zeichnern aus dem deutschsprachigen Raum. Eine kleine Lagerhalle in der Nähe des Hauptbahnhofs wurde angemietet und als Ausstellungshalle hergerichtet. Obwohl ein wenig versteckt, sprach sich die Ausstellung herum und wurde als Geheimtipp gehandelt. 18.000 Besucher kamen.
Seitdem behaupten wir, die documenta sei »in den folgenden Jahren jeweils nützliches Beiprogramm zu den Caricatura-Ausstellungen«. Selbstbewusst waren wir immer.

Wir blieben am Ball, ermutigt durch unseren ersten Erfolg und weitere Ausstellungen in der Zwischenzeit. Zur nächsten, der documenta 9, 1992, zeigten wir unsere Ausstellung an neuen, ungewöhnlichen Orten. Dem neu gegründeten Museum für Sepulkralkultur, – alles rund um Tod, Sterben und Begräbnis – fehlte die springende Idee sich inhaltlich und formal während der documenta zu präsentieren. Caricatura schlug vor, Komische Kunst zwischen den Grabmählern und Totenkult-Objekten zu platzieren. Wir baten unsere Zeichner und Künstler um Werke zum Thema Tod und stießen auf ein überwältigendes Echo. So entstand die äußerst erfolgreiche Ausstellung »Schluß jetzt!«. Gleichzeitig präsentierte die Caricatura an einem zweiten Ort, dem Staatstheater, eine Schau, die sich mit der deutschen Einheit auseinandersetzte. Erstmalig wurden Zeichner aus der ehemaligen DDR zusammen mit den West-Zeichnern präsentiert. Alle unter diesem einen Statement: »Schluß jetzt«!

Caricatura hatte mittlerweile an allen relevanten Orten in Kassel ausgestellt, inklusive documenta-Halle, Fridericianum und Brüder Grimm-Museum. Wir waren überall »zu Besuch« gewesen und suchten eine »Neue Heimat«, vor allem aber eine »eigene«. Kassel hatte einen neuen ICE-Bahnhof bekommen, damit lag der alte Hauptbahnhof zentral aber verwaist inmitten der nordhessischen Metropole. Mit anderen Kulturschaffenden widmeten wir ihn zum »KulturBahnhof« um und eröffneten dort 1995 unsere eigene Galerie mit einer viel bejubelten Werkschau des von uns so sehr verehrten Ernst Kahl, »121 Meisterwerke« und jeweils fünf Ausstellungen pro Jahr.

Achim Frenz, Bernd Gieseking

(aus einem Text der Caricatura-Gründer in: N. Folckers, M. Sonntag: CARICATURA V – Bestandsaufnahme der Komischen Kunst, Kassel 2007)